Ausführliche Geschichte

 

Die Geschichte des Innsbrucker Arbeitskreises für Psychoanalyse (IAP) ist eng mit der Entwicklung der Psychoanalyse in Österreich (vor allem mit der der Österreichischen Arbeitskreise für Psychoanalyse) aber auch mit der Entwicklung der Diskussion um die Psychoanalyse in Deutschland und in der Folge auch mit internationalen Entwicklungen verwoben.
Die Anfänge des IAP gehen bis in die Jahre nach dem 2. Weltkrieg zurück. In den Kriegsjahren selbst konnte dem Interesse an den Erkenntnissen und Methoden der in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgten Psychoanalyse kaum oder nur verdeckt nachgegangen werden.

Vorgeschichte

Der tiefenpsychologisch orientierte Psychologe Eduard Grünewald wird von Hubert Urban an die psychiatrische Klinik Innsbruck geholt und arbeitet am Aufbau des und im psychotherapeutischen Kolloquium zur Fortbildung aller MitarbeiterInnen mit.
1946 wird der Psychoanalytiker Igor A. Caruso aus Wien mit der Leitung der neugegründeten psychotherapeutischen Ambulanz der Uni-Klinik Innsbruck beauftragt. Schon damals führt er folgende Ausbildung ein: Lehranalyse, theoretische Seminare, Kolloquien, angeleitete psychotherapeutische Arbeit mit PatientInnen und Fallbesprechungen. Die theoretischen Darstellungen und Diskussionen fanden ihren Niederschlag in der "Blauen Reihe". Caruso kehrt 1947 zurück nach Wien und gründet den "Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse". Die Verbindung zu seinem Nachfolger Grünewald in Innsbruck bleibt bestehen.
Von 1947 bis 1949 übernimmt Eduard Grünewald die Leitung dieser Ambulanz. 1948/49 führt Grünewald das österreichische Colleg: Arbeitskreis für Tiefenpsychologie. Ab 1950 geht er gemeinsam mit Vinzenz Neubauer in die eigene Praxis, genannt das "Institut für Psychotherapie und Psychologie".

Innsbrucker Arbeitskreis für Tiefenpsychologie

Bereits seit 1953 kristallisiert sich der "Innsbrucker Arbeitskreis für Tiefenpsychologie" als westlichste Gruppe des Wiener Arbeitskreises heraus.
Ab 1957 besteht der Innsbrucker Arbeitskreis für Tiefenpsychologie in Statutengemeinschaft mit dem Wiener Arbeitskreis und nimmt Ausbildungsaufgaben wahr.
1976 wird der Innsbrucker Arbeitskreis für Tiefenpsychologie als eigenständiger Verein konstituiert. Im Zuge der Gründung anderer österreichischer Arbeitskreise kommt die Eigenständigkeit des Innsbrucker Arbeitskreises vermehrt zum Tragen.
Die KollegInnen aus dem Bodenseeraum, die im IAP die Ausbildung absolviert hatten, gründeten 1979 in Vorarlberg die Arge Rheintal, die sich zum jetzigen Psychoanalytischen Seminar Vorarlberg entwickelte.
Ende der 1980-er Jahre findet die inhaltliche Diskussion und Weiterentwicklung des Selbstverständnisses im Arbeitskreis auch ihren Niederschlag in der Umbenennung in "Innsbrucker Arbeitskreis für Psychoanalyse"

Entwicklungslinien und Vernetzung innerhalb Österreichs

In den 1950-er Jahren gilt der Schwerpunkt des Innsbrucker KollegInnenkreises neben der psychotherapeutisch-tiefenpsychologischen Praxis der Lehre und Ausbildung von KollegInnen und der Vermittlung des Fachwissens an andere human- und geisteswissenschaftliche Bereiche, insbesondere der Psychologie, Pastoraltheologie, Philosophie und Medizin.
Im Wiener Raum verfolgt der dortige Arbeitskreis für Tiefenpsychologie gleiche Ziele und wird bald europaweit als "Neue Wiener Schule" bekannt, die sich neben der wiederaufgebauten Psychoanalytischen Vereinigung - gegründet von Sigmund Freud - entwickelte.
Als gemeinsamer theoretischer Ansatz der Arbeitskreise gilt, aufbauend auf der Psychoanalyse S.Freuds, die anthropologisch fundierte Auffassung einer Theorie der Person und ihrer psychischen Entwicklung, die als "progressive Personalisation" bezeichnet wird. Psychoanalyse wird vor diesem Hintergrund als emanzipatorische Erkenntnis und Methode zur Befreiung und Entwicklung aus unbewussten individuellen und auch kollektiven Zwängen und Determinierungen verstanden.
In den sechziger Jahren zeigt sich die österreichweite Zusammenarbeit der Arbeitskreise und Gruppen in gemeinsamen Tagungen, die der psychoanalytischen Theorie und Praxis gewidmet sind. Bis Anfang der 1990-er Jahre stehen die österreichischen Arbeitskreise in engem Kontakt, veranstalten gemeinsame Ausbildungswochen, Tagungen, Symposien und arbeiten mit am Entwurf einer gesetzlichen Regelung der Psychotherapie in Österreich.

1981 wird als wissenschaftliches Organ die Zeitschrift „texte" - psychoanalyse – ästhetik - kulturkritik - gegründet, die inzwischen als Publikationsorgan der österreichischen Arbeitskreise dient und die einzige Psychoanalytische Fachzeitschrift in Österreich ist.

Der Innsbrucker Arbeitskreis bekennt sich zur Freudschen Psychoanalyse und zur Verpflichtung einer kritischen Überprüfung der Theorien über den Menschen einschließlich seiner sozialen und geistigen Dimension.
Gleichzeitig wird der Austausch mit anderen Wissenschaften gesucht (Psychologie, Erziehungswissenschaften, Medizin und Theologie). Besonderen Anklang findet die psychoanalytische Theorie an der Theologischen Fakultät, wo auch Tiefenpsychologie gelehrt wird. Im Zuge dieser Entwicklung streben einige Theologen eine Ausbildung zum Psychoanalytiker an. Durch den im Lauf der Jahre erweiterten Diskurs mit PsychologInnen, MedizinerInnen und GeisteswissenschaftlerInnen im Arbeitskreis finden sozialwissenschaftliche, psychiatrische und sprachwissenschaftliche Fragen Aufnahme in den kollegialen Diskurs.

Internationale Vernetzung und Zusammenarbeit

Erste ausländische Gruppen suchen Kontakte. Vor allem in Lateinamerika finden sich KollegInnengruppen, die ihre Ausbildung im Wiener/Innsbrucker Arbeitskreis machen. Nicht zuletzt, weil Carusos Publikationen vor allem in romanische Sprachen übersetzt werden und er durch seine Gastdozenturen in diesen Ländern bekannt wird.
1962 gründen der Wiener und der Innsbrucker Arbeitskreis, die Mexikanische Psychoanalytische Gesellschaft und die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft die "International Federation of Psychoanalytic Societies". Bis heute verbinden Internationale Tagungen und die Zeitschrift "Forum of Psychoanalysis" die Aktivität der Gesellschaften.
Die aus diesen Kontakten entstehenden Gruppen und Arbeitskreise bilden eine eigene internationale Organisation, die ab 1966 bis in die 1980-er Jahre als „Internationale Föderation der Arbeitskreise für Tiefenpsychologie" kollegialen Austausch und wissenschaftliche Publikationen fördert. Arbeitskreise finden in Brasilien, Bogotá, Argentinien und Mexiko statt. Im deutschsprachigen Raum gibt es den Berner Arbeitskreis und für einige Jahre auch eine bundesdeutsche Gruppe.

Selbstverständnis und Aktivitäten bis heute

Der Diskussionsgeschichte des IAP entsprechend findet sich auch in der Gegenwart eine reichhaltige, auch kontroversielle Debatte zu den Kernfragen der Psychoanalyse in ihren klinischen Anwendungen und zu den psychoanalytischen Betrachtungsweisen von individueller, sozialer, gesellschaftlicher, kultureller und geistiger Entwicklung.
So nennt der IAP in seiner Selbstbeschreibung als Ausbildungseinrichtung (Anfang 1990) neben den Freudschen triebtheoretischen Ansätzen auch die Objektbeziehungstheorien, Theorien der Selbstpsychologie und Ansätze zu einem anthropologischen Individuationskonzept als seine gegenwärtigen Linien des wissenschaftlichen Diskurses. Zentrum der klinischen Anwendung der Psychoanalyse bleibt dabei die Psychoanalyse des Einzelnen in seiner Lebens- und Leidensgeschichte.
Als interne Verschriftlichung dieser Auseinandersetzung dienen die "Materialien", in denen Semester-, Seminar- und Gastbeiträge festgehalten werden.
1993 erhält der Innsbrucker Arbeitskreis die staatliche Anerkennung gemäß dem österreichischen Psychotherapiegesetz als fachspezifische Einrichtung für die Ausbildung zum Psychoanalytiker/zur Psychoanalytikerin. Damit hat der IAP Sitz und Stimme im Psychotherapiebeirat des zuständigen Ministeriums.
1999 wird die Psychoanalytische Ambulanz als niederschwelliges Angebot eingerichtet.
Weiterhin zeigt der IAP seine wissenschaftliche Aktivität durch öffentliche Vorlesungen zu Schwerpunkten der Psychoanalyse, Diskussionen mit VertreterInnen anderer Wissenschaften in seiner Reihe "Psychoanalyse im Dialog", Fort- und Weiterbildung zu allgemeinen Schwerpunkten psychotherapeutischer Praxis, Kooperation mit anderen psychoanalytischen, klinischen und universitären Einrichtungen. Dazu gehört die Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Beziehungsanalyse Österreich AGBÖ.
Es gibt eine Kooperation im Kontext der Ausbildung mit den ArbeitskreisenSalzburg/Klagenfurt und Linz/Graz.
Aktuell wird der Schwerpunkt Kinderanalyse entwickelt, wobei entsprechende Seminare und Veranstaltungen auch für eine interessierte Fachöffentlichkeit zugänglich sind. Angestrebt wird der Aufbau eines Weiterbildungscurriculums.
Der gesellschaftskritische Ansatz der Psychoanalyse und des Diskurses in Innsbruck hat auch ein berufspolitisches Engagement zur Folge, nicht zuletzt dort wo es um die gesetzliche und sozialpolitische Sicherung der therapeutischen Anwendung von Psychoanalyse geht.
Das mindestens einmal im Jahr stattfindende Treffen der LeiterInnen, AusbildungsleiterInnen und KandidatInnenvertreterInnen aller Österreichischen Arbeitskreise dient auch der Reflexion sozial- und gesundheitspolitischer Entwicklungstendenzen und der Erarbeitung gemeinsamer Positionen.

Geschichte – transgenerational

Nicht nur die – teilweise auch medial ausgetragene – Debatte rund um I.Caruso macht deutlich, dass die Nachfolgegenerationen sich mit ihren „GründerInnen" auseinandersetzen müssen, um sich in der Gegenwart eigenständig und Ich-haft zu positionieren. Diese Auseinandersetzung mit den GründerInnen, geht weit über die, mit deren Leben und Handeln in der Zeit des Nationalsozialismus, hinaus. Die Frage ist auch, was deren Leben und Handeln für die Entwicklung des Arbeitskreises und für uns heute bedeutet.
In der Zeit von 1939-1945 wurden am Spiegelgrund 800 Kinder und Jugendliche mit sozialen Auffälligkeiten und Behinderungen umgebracht.
Carusos Rolle bezüglich der dort geforderten Gutachten brachte es mit sich, dass er in das herrschende System mitverwickelt wurde. Nach 9 Monaten verließ er den Spiegelgrund.
Später war er maßgeblich an der Verbreitung und Institutionalisierung der Psychoanalyse in Österreich sowie im lateinamerikanischen Raum beteiligt und in den 70-er und 80-er Jahren ein Vorreiter im Kontext angewandter Psychoanalyse in sozialpolitischer Hinsicht.
Unter der Voraussetzung, dass die Brüche in der eigenen Kontinuität gesehen und neuere Kontroversen in der Psychoanalyse von den Mitgliedern des Arbeitskreises aufgegriffen werden, können „ererbte" Tabus in Diskurs gebracht werden.
Für den IAP bedeutet das auch sich mit dem konflikthaften Weggehen von zwei jungen Kollegen und deren Aufbau eines eigenen psychoanalytischen Instituts in Innsbruck, in den 1990-er Jahren, zu beschäftigen.
Die theoretische Auseinandersetzung, der öffentlich fachliche Austausch, die konkrete praktische Anwendung von Psychoanalyse sowie der aktuell geführte Diskurs des psychoanalytischen Selbstverständnisses im Arbeitskreis sind immer vom Engagement und dem Interesse der anwesenden Mitglieder, so wie der FunktionärInnen des IAP abhängig. Sie können nur von denjeweils Handelnden getragen werden.

LeiterInnen des IAP
Eduard Grünewald (bis 1984) Gunther F. Zeillinger (1984- 1992), Hans-Jörg Walter (1992-1998), Edith Frank-Rieser (1998 - 2007) und Margret Aull (2007-).

AusbildungsleiterInnen
Eduard Grünewald und Monika Mayr, Edith Frank-Rieser (1983-1989), Hans-Jörg Walter (1989-1992), Gunther F. Zeillinger (1992-1993), Jesus Bernal (1993-1995) und Eva Sporschill (1993-1997) Annemarie Laimböck (1997-1999), Jörg Plankensteiner (1999-2002), Brigitte Uhl (2002–2013), Fridolin Meyer (2013-2014), ab 2015 Edith Frank Rieser.

Lehr- und KontrollanalytikerInnen
Eduard Grünewald + 2012), Monika Mayr (+1983), Gunther F. Zeillinger, Jörg Plankensteiner (+2002), Veronica Gradl, Edith Frank-Rieser, Alexander Matzner, Annemarie Laimböck, Eva Sporschill, Elfriede Pirchner, Brigitte Uhl, Fridolin Meyer, Ewald Sommerer.

Kontakt

Innsbrucker Arbeitskreis für Psychoanalyse
Colingasse 7/III
A-6020 Innsbruck

Sekretariat:
Frau Mag.a Amarilla Ferenczy

Telefonische Anmeldung für die Ambulanz:
Montag  11:30 bis 14.00 Uhr
Donnerstag  12:00 bis 15.00 Uhr


Tel.: (0512)-58 28 27
Fax: (0512)-560540
e-mail: psychoanalyse.ibk@aon.at


ANKÜNDIGUNG:

reden am berg zum Thema:
Subjektwerdung in der digitalen Welt.
Bildungshaus "Seehof" auf der Hungerburg,
6020 Innsbruck, 15. - 17.11.2024

reden am berg

 

DOSSIER:

Psychotherapiegesetz und Psychotherapieausbildung NEU

Dossier-Psychotherapiegesetz-NEU-03022023.pdf

 

ZUM NACHLESEN:

Buchrezension von Christian Kläui zu Gerhard Zenaty (2022): Sigmund Freud lesen. Eine zeitgemässe Re-Lektüre.

Buchrezension Christian Kläui